Josefsheim, Bigge

Beirat und Werkstattrat des Josefsheims bei der Gesprächstrunde zum Thema Hilfsmittelversorgung mit dem Bundestagsabgeordneten Dirk Wiese.

Vernetzt erreicht man mehr

„Wenn ich das ernsthaft betreiben will, ist es ein zweiter Job“, sagt Georgia Petresis und rechnet zusammen: Sitzungen vorbereiten, Protokolle schreiben, telefonieren. „20 bis 25 Stunden pro Woche kommen da schon zusammen.“ Und das meist abends, neben ihrer eigentlichen Arbeit in der Werkstatt für behinderte Menschen des Josefsheims. Dort nimmt sie die Bestellungen der Kunden der Josefs-Brauerei telefonisch entgegen und bearbeitet sie weiter.

Seit acht Jahren ist Georgia Petresis Vorsitzende des Beirats im Josefsheim. Schon seit 13 Jahren gehört sie dem Vertretungsgremium an. Damals wurde sie von langjährigen Beiratsmitgliedern gefragt, ob sie sich zur Wahl stellen möchte. „Meine Motivation ist, vor allem für die Schwächsten da zu sein und ihnen eine Stimme zu geben.“ Das tut sie gerade ganz aktuell: Für die schwerst-mehrfachbehinderten Menschen, die im Haus Martinus wohnen, wird das Josefsheim ein neues Wohnangebot schaffen. „Wenn ein Umzug ansteht, entscheidet der Beirat mit. Wir werden auch bei der Gestaltung der neuen Wohnräume einbezogen“, berichtet Georgia Petresis.

 

Auch Jürgen Kröger ist ein „alter Hase“ in Sachen Mitbestimmung. Seit gut 22 Jahren ist er Mitglied im Werkstattrat des Josefsheims. 14 Jahre lang war er Vorsitzender, seit 2009 ist er Schriftführer des Gremiums. Auch ihn und seine Kolleginnen und Kollegen des Werkstattrates bewegt ein aktuelles Thema: Seit Anfang des Jahres  ist die Werkstatt für die Mittagsversorgung ihrer Beschäftigten zuständig, nicht mehr die Wohnhäuser. „Da gab und gibt es einiges zu organisieren.“ Auch für den Wunsch der Beschäftigten, mehr Urlaub zur freien Verfügung zu haben, ist der Werkstattrat erfolgreich eingetreten.

 

Wenn sie etwas bewegen wollen, darf ihr Engagement nicht im Josefsheim enden – das wissen die beiden Mitbestimmer aus jahrelanger Erfahrung. „Wenn man vernetzt ist, erreicht man mehr“, so bringt es Jürgen Kröger auf den Punkt. Deshalb ist er seit 2011 einer von 17 Delegierten der Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstatträte. „Hier konnten wir Anfang 2017 erreichen, dass das Arbeitsförderungsgeld verdoppelt wird“, berichtet er. Klingt bürokratisch, bedeutet aber konkret: Seitdem hat jeder Werkstattbeschäftigte pro Monat 26 Euro mehr zur Verfügung.

 

Natürlich steht das Bundesteilhabegesetz seit einiger Zeit regelmäßig auf der Tagesordnung der Landesarbeitsgemeinschaft. Ein gutes Gesetz? "Eher ein ‚sowohl – als auch‘“, lautet Jürgen Krögers Einschätzung: „Natürlich hat das Gesetz viele gute Aspekte, aber vieles ist schwierig. Die Zulassung der sogenannten ‚anderen Anbieter‘ im Werkstattbereich kann für manche Teilnehmer bessere Chancen bedeuten. Die Werkstätten wird sie bestimmt vor ganz neue Herausforderungen stellen.“

 

Georgia Petresis und Jürgen Kröger sind Mitglieder der Behinderteninteressenvertretungen der Stadt Olsberg und des Hochsauerlandkreises. Hier arbeiten sie an den Themen Barrierefreiheit und Stadtentwicklung mit. „Durch die Umbaumaßnahmen in Olsberg sind in den vergangenen Jahren nicht nur die öffentlichen Gebäude, sondern inzwischen auch viele Geschäfte barrierefrei zugänglich geworden“, freut sich Georgia Petresis. Probleme gibt es immer wieder bei Fahrten mit der Bahn: Nicht in jedem Zug ist der Einstieg für Rollstuhlfahrer möglich. Mancherorts besteht nach wie vor die Gefahr, mit schmalen Reifen in den Schienen stecken zu bleiben. „Wir sind mit der Bahn im Gespräch“, sagt die Beiratsvorsitzende und ergänzt: „Dranbleiben ist wichtig.“

 

Seit zwei Jahren ist Georgia Petresis Mitglied im Pfarrgemeinderat der örtlichen Gemeinde St. Martin Bigge. Hier setzt sie sich dafür ein, die Angebote der Kirchengemeinde und des Josefsheims besser miteinander zu vernetzen, um das Josefsheim noch stärker als bisher für die Öffentlichkeit zu öffnen. Den Motorradgottesdienst, der bei der alljährlich im August in Olsberg stattfindenden Motorradmesse im Lebensgarten des Josefsheims gefeiert wurde, nennt sie als positives Beispiel.

 

Gefragt nach dem bislang größten Erfolg ihrer Arbeit in den Vertretungsgremien, erinnern sich Georgia Petresis und Jürgen Kröger an den Sommer des Jahres 2008. Damals bekam der Bigger Arzt Ferdinand Niessen eine Regressforderung über 90.000 Euro auf seinen Tisch. Zu Niessens Patienten gehörten Menschen mit Behinderung aus dem Josefsheim – insgesamt rund 250, die mehr Verordnungen brauchten als der Durchschnitt. Dies wäre Niessen fast zum Verhängnis geworden. Weil er das medizinisch Notwendige verschrieb, überzog er das ihm vorgegebene Budget um ein Vielfaches. Inzwischen ist Niessen im Ruhestand. Hätte er damals zahlen müssen, hätte er seine Praxis schließen müssen.

 

Als Beirat und Werkstattrat von der Regressforderung erfuhren, wurden sie aktiv. Zunächst schrieben sie Briefe an Landes- und Bundespolitiker. Am Europäischen Protesttag zur Gleichstellung behinderter Menschen machten sie auf den Fall aufmerksam. „Welcher Arzt würde uns noch als Patienten nehmen mit der Perspektive, dass wir ihn in den Ruin treiben?“, fragte Jürgen Kröger damals.
Beirat und Werkstattrat brachten Vertreter aus Gesundheitswesen und Politik an einem Runden Tisch zusammen. Dort wurden nicht nur die Fachleute aus dem Sozialwesen auf das Thema aufmerksam, sondern auch die Medien. Zeitung, Radio und Fernsehen berichteten danach über den Regress. Am Ende blieb Ferdinand Niessen die Nachzahlung erspart.

 

Vor zwei Jahren taten sich Beirat und Werkstattrat mit der Angehörigenvertretung des Josefsheims zusammen und luden den Bundestagsabgeordneten Dirk Wiese (SPD) ein (siehe Foto). Das Thema der Gesprächsrunde: die Hilfsmittelversorgung für Menschen mit Behinderung, die aus Sicht der Betroffenen viel zu oft nur aus finanzieller Sicht gesteuert wird. Dirk Wiese nahm das Thema mit nach Berlin. Mit Jürgen Kröger – ebenfalls SPD-Mitglied – tauscht er sich über die Fortschritte seiner Bemühungen aus.

 

Ohnehin liegt Jürgen Kröger die politische Arbeit. Er bezeichnet sich selbst als „eingefleischter Sozialdemokrat“, ist als sachkundiger Bürger Mitglied im Ausschuss Ordnung und Soziales. Bei den Kommunalwahlen 2004, 2009 und 2014 hat er mit den SPD-Kandidaten Häuserwahlkampf gemacht. „Das ist kräftezehrend“, erinnert er sich. „Ob ich das noch einmal mache, weiß ich noch nicht.“ Auch Georgia Petresis stellt ihr Engagement immer wieder selbstkritisch auf den Prüfstand. Im Herbst will sie entscheiden, ob sie bei der nächsten Wahl des Beirates am 6. Dezember noch einmal kandidiert.

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