Josefsheim, Bigge

Seit einem Jahr nimmt Alexandra Rohde-Farnow an der Kunsttherapie des Josefsheims teil. Gerade malt sein ein Bild, das später in ihrer Wohngruppe hängen wird.

Kunsttherapie: Stärken entdecken

Der Freundes- und Förderverein für das Josefsheim Bigge hat kürzlich das Angebot der Kunsttherapie mit 500 Euro unterstützt. Das Geld soll dafür verwendet werden, Ausstattung und Material für das Atelier anzuschaffen. Was Kunsttherapie ist, wie die Teilnehmer davon profitieren und wofür die Spende eingesetzt wird, soll dieses Beispiel verdeutlichen.

Ganz langsam und vorsichtig gleitet der Pinsel an der mit Bleistift gezogenen Linie entlang. Trägt rote Acrylfarbe auf die Leinwand auf. Exakt innerhalb einer begrenzten Fläche, deren Nachbarflächen bereits orange, violett, grün und gelb bemalt sind oder noch unbemalt auf eine Farbgebung warten. Zwei Hände führen gemeinsam den Pinsel. Denn Alexandra Rohde-Farnow, deren Bild hier entsteht, sieht kaum noch etwas. Ihr zur Seite steht Melanie Vogel, Kunsttherapeutin im Josefsheim Bigge.

 

Alexandra Rohde-Farnow ist 44 Jahre alt. „Früher war ich fitter. Ich konnte laufen und sehen“, erzählt sie. Seit ihrem 11. Lebensjahr ist sie auf den Rollstuhl angewiesen. Der Grund ist die Friedreich-Ataxie, eine fortschreitende Nervenerkrankung, die nach und nach die Körperfunktionen schwächt und ihr die Sehkraft nimmt. Alexandra Rohde-Farnow lebt mit ihrem Mann Thomas im Josefsheim und arbeitet dort in der Werkstatt für behinderte Menschen. Vor einem Jahr wurde sie durch ein Bildungsangebot auf die Kunsttherapie aufmerksam. Seitdem trifft sie sich regelmäßig mit Melanie Vogel zu Einzeltherapiestunden.

 

Kunsttherapie ist eine nonverbale Therapie. Sie ermöglicht auch Menschen mit schweren körperlichen oder kognitiven Einschränkungen neue Erfahrungen. „Sie hat eine unterstützende Wirkung, wenn Worte allein nicht mehr weiterhelfen“, erläutert Melanie Vogel. Wenn die Bilder entstehen, kann Unbewusstes bewusst werden, ohne dass es ausgesprochen werden muss. Melanie Vogel nennt ein Beispiel: Eine junge Frau hat Beziehungsprobleme mit ihrem Freund. Sie malt ein Bild, auf dem sie sich selbst sehr groß und ihren Partner sehr klein darstellt. „Nicht der Kopf malt, die Seele malt.“ Was dabei aufs Papier oder auf die Leinwand kommt, kann später reflektiert werden. Melanie Vogel stellt jedem Teilnehmer ein auf seine individuellen Bedürfnisse zugeschnittenes Angebot zusammen. Ihre Arbeit stimmt sie mit den anderen Fachleuten im Josefsheim ab, die mit den Menschen mit Behinderung arbeiten, zum Beispiel Psychologen und Therapeuten.

 

Das Bild, das Alexandra Rohde-Farnow mit ihrer Unterstützung malt, ist eigentlich eine Übung aus der Gestaltungslehre. Zunächst werden mit dem Bleistift Bewegungen über die Leinwand gemacht. Dabei entstehen zufällig Strukturen, Felder. Die Malerin legt ein Feld fest, das sie ausmalen möchte. Dann wird gewürfelt. Jede Zahl des Würfels steht für eine andere Farbe. Alexandra Rohde-Farnow und Melanie Vogel haben zum Beispiel die Zahl 4 der Farbe Rot zugeordnet. Deshalb malen sie gerade ein fast viereckiges Feld rot aus. „Bei Alexandra verstehe ich mich mehr als Kunstassistentin. Ich helfe, weil sie viele Dinge nicht mehr allein kann“, sagt Melanie Vogel. Und die Malerin ergänzt: „Ich sehe die Bilder zwar nicht. Aber ich habe sie im Kopf.“

 

Im vergangenen Jahr hat Alexandra Rohde-Farnow verschiedene Materialien und Stilrichtungen ausprobiert: Seidenmalerei, Töpferei, Malen auf Leinwand. Als Geschenk für ihren Mann Thomas hat sie eine Baumscheibe mit Acrylfarbe gestaltet. Überhaupt verschenkt sie ihre Werke am liebsten. Ihr neuestes Werk soll ein Geschenk für das Haus Benedikt werden, in dem Thomas und sie eine kleine Wohnung haben. Es wird im Gemeinschaftsraum der Wohngruppe seinen Platz finden.

 

Normalerweise ist die Dauer einer Kunsttherapie begrenzt. Alexandra Rohde-Farnow ist eine Ausnahme. „Wir haben kein Datum festgelegt,“ sagt sie. „Ich möchte das machen, solange ich es noch kann.“ Sie ist eine Frau, die anderen Menschen Mut macht, nicht aufzugeben, sagt Melanie Vogel. „Ein Vorbild auch dafür, nicht damit aufzuhören, schöne Dinge zu tun, solange es geht.“

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